SMV jetzt! Aber blindes Vertrauen in Delegationen ist der falsche Weg. Für Demokratie und Partizipation.

Dies hier ist ein Plädoyer von mir für eine SMV in der Piratenpartei. Eine ausführliche Abhandlung über die Gestaltung einer Institution, um demokratische Partizipation aller möglicher zu machen. Und ein kritischer Blick auf Delegationen. Wenn Delegationen so gestaltet werden, dass sie blindes Vertrauen und Zeitersparnis modellieren sollen, wirken sie Demokratie, Aufklärung, und der Kontrolle von Macht entgegen.

Deshalb bin ich für eine deutlich wirksame Regulierung von Delegationen und eine dadurch starke Erhöhung ihrer Liquidität. Ein zentraler Punkt dabei ist der automatische Verfall von Delegationen nach 30 Tagen, wenn sie nicht per Klick bestätigt werden.

Delegationen bestätigen: Der Nutzer bestätigt die Gültigkeit und Wirksamkeit von Delegationen; und erhält diese dabei auch in der Benutzeroberfläche angezeigt. (CC-BY-SA TheCitizen.de , ursprüngliches Clipart: CC-BY-SA Niels Lohmann)30 Tage Delegationen: Nach 30 Tagen verfallen Delegationen automatisch, außer der Nutzer bestätigt sie. (CC-BY-SA TheCitizen.de , ursprüngliches Clipart: CC-BY-SA Niels Lohmann)

1 Was die SMV ist und warum wir sie brauchen.
2 Mehr Mitbestimmung statt Unterdrückung.
3 Aufklärung 2.0 statt blindes Vertrauen.
4 Die „Freiheit!!1“, zu delegieren.
5 Demokratie kostet Zeit.
6 Macht muss kontrolliert werden.
7 It’s the system, stupid! Democracy by design.
8 Was will ich eigentlich wissen?

Siehe auch: andere Blogbeiträge zum Thema.

1 Was die SMV ist und warum wir sie brauchen.

SMV steht für Ständige Mitgliederversammlung. Die Piratenpartei diskutiert aktuell darüber, eine SMV als innerparteiliches Organ einzuführen, um nicht nur an ein bis zwei Parteitagen pro Jahr an einem Tagungsort Beschlüsse fassen zu können, sondern ständig / deutlich häufiger, und vor allem: online. Die Umsetzung, wie genau diese SMV aussehen soll, und zum Beispiel ob und wie es Delegationen (Übertragung des eigenen Stimmrechts) geben soll, wird momentan ebenfalls heftig diskutiert.

Ich bin stark dafür, dass wir als Piratenpartei jetzt – noch vor der Bundestagswahl – eine SMV gestalten und einführen, um mehr (und mehr echte) Demokratie und Partizipation bei uns zu ermöglichen. Diese SMV sollte 1. überprüfbar sein, so dass alle Teilnehmenden die Richtigkeit der Ergebnisse feststellen können. Und 2. sollte sie bindende, offizielle Beschlüsse fassen können, so dass wir Positionen zu aktuellen politischen Fragen (und Programm) festlegen können. Füllen wir dieses Vakuum aktueller politischer Fragen nicht durch eine SMV, wird es stattdessen durch den Bundesvorstand, oder wenn es eine gibt, durch die Bundestagsfraktion der Piraten, ausgefüllt werden. Eine Bundestagsfraktion wird extrem viel Medienaufmerksamkeit und Reichweite genießen.

Kurz gesagt: Ohne eine SMV würden hierarchische Organe mit wenigen Menschen die vollständige Deutungshoheit / Deutungsmacht in der (Medien-)Öffentlichkeit über alle Piraten-Inhalte bei aktuellen Fragen übernehmen. Auch kann eine Fraktion ohne SMV nicht wirklich feststellen, welche Meinung die Piraten-Basis zu einer Frage hat.

2 Mehr Mitbestimmung statt Unterdrückung.

„Die Macht der Menschen ist größer als die Menschen in Macht“,

sagt der ägyptische Aktivist Wael Ghonim, der online und offline wichtiges zum Arabischen Frühling beitrug. Sein Satz fasst exzellent zusammen, warum am Tahrir-Platz so viele Menschen auf inspirierende und mutige Weise protestieren, und erste reale Erfolge erzielten: Sie sagen: Die Unterdrückung durch ein autoritäres Regime gehört der Vergangenheit an. Demokratie und Mitbestimmung aller ist die Zukunft.

Ähnlich engagieren sich auch die spanische/internationale „Democracia real ya“/“Echte Demokratie jetzt“/15-M-Bewegung und die weltweite Occupy-Wall-Street-Bewegung für ein Ende der Macht von Eliten, und für neue, bessere, demokratischere Strukturen.

Auch die Piraten stellen in ihrem Grundsatzprogramm unter „Mehr Demokratie wagen: Mehr Teilhabe“ klar: „Deswegen ist es Ziel der Piratenpartei, die direkten und indirekten demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten jedes Einzelnen zu steigern und die Partizipation jedes einzelnen Mitbürgers an der Demokratie zu fördern.“

3 Aufklärung 2.0 statt blindes Vertrauen.

Das Gegenteil der gerade unter 2 genannten Ideen wird symbolisiert durch ein Zitat der prominenten ACTA-Befürworterin Marielle Gallo, Mitglied des Europäischen Parlaments – eine Position, die wohl leider viele Politiker teilen:

„Wir sollen die Bürger vertreten, aber da sie mit anderen Dingen beschäftigt sind, sollen wir für sie denken!“

Gegen ein solches Bild von Menschen und von Demokratie treten wir an.
Denn eine solche Politik 1.0 kann schlicht nicht wissen, was demokratisch gewünscht ist, sondern nur was finanzstarke Lobbies mit elitärem Zugang empfehlen, und so sehen dann auch die Ergebnisse aus.

Früher gab es einen König, der für die Menschen dachte.
Früher konnten nur wenige Privilegierte von exklusiven Lehrern Wissen erfahren.
Früher konnten nur wenige Ausgewählte mit Kutschen zu Abstimmungsversammlungen fahren.
Heute gibt es das Internet.

Blindes Vertrauen (in einen König oder andere Autoritäten) ist nicht mehr notwendig.
Blindes Vertrauen, anstatt Autoritäten kritisch zu hinterfragen und es zu wagen, selbst zu denken, verhindert nicht nur Innovation.
Es verkennt die Möglichkeiten zu Aufklärung, Emanzipation, Gleichberechtigung, und Wissensgesellschaft, die dank dem Internet glücklicherweise drastisch gewachsen sind.

Ebenso ist ein blindes Vertrauen in die „Kompetenz“ von Experten nichts anderes als eine klassische Oligarchie (Technokratie), wenn nicht kritisch überprüft und hinterfragt wird, sondern die Experten selbst ihre Kompetenz festlegen. Und wie soll jemand, der sich in einem Thema „nicht auskennt“, feststellen, wer sich besser auskennt und diese Person zu ihrem Delegierten wählen?

Blindes Vertrauen (oder auch „bedingungsloses Vertrauen“) ist eine einseitige Beziehung, es ist Kommunikation, die nur in eine Richtung geht. Mit diesem Baustein können nur hierarchische Strukturen aufgebaut werden, keine dezentralen. In der Politik ist blindes Vertrauen fehl am Platz.

Wenn Delegationen mit dem Ziel des blinden Vertrauens umgesetzt werden, wird das Resultat ein völlig anderes System mit anderen Eigenschaften sein, als wenn das Ziel das Abbilden einer aufgeklärten, kritischen, partizipatorischen Demokratie ist.

@Afelia hat bei Maybrit Illner am 14. März 2013 zu recht die Einstellung kritisiert: „Die Politik da oben regelt das schon.“
Genauso kritikwürdig ist die Einstellung: „Die Delegierten da oben regeln das schon.“
Denn richtig ist: in beiden Fällen müssen wir selbst kritisch hinterfragen, überprüfen und aktiv handeln.

Die Kernfrage ist also nicht: Delegationen – oder keine Delegationen, sondern: selbst partizipieren und denken – oder Obrigkeiten blind vertrauen.

4 Die „Freiheit!!1“, zu delegieren.

Manche Delegations-Befürwortende schreien „Freiheit!!1“ als wären sie gerade aus einem FDP-/Neoliberalismus-/AG-Waffenrecht-Seminar gekommen, und schüren Angst vor „Verboten“.

Dies ist eigentlich eine Umkehrung der Lage: Es geht ja um einen zusätzlichen Service speziell für die Delegations-Befürwortenden, der es innerhalb der Institution SMV ermöglicht, das Stimmrecht (automatisiert) abzugeben (plus hoffentlich damit einhergehende Elemente der Transparenz und der Kontrolle).

Aber noch wichtiger ist:
Es ist in jedem Fall immer möglich, mit der eigenen Stimme so abzustimmen, wie es andere, die sie für wissender oder vertrauenswürdiger halten, empfehlen.
Es ist nur die Frage, auf welche Weise das geschieht und mit wie viel Interaktion (und wie es reguliert ist):

Gehen wir von dem einen Extrem zum anderen:
Die Person, die delegieren will, fragt online bei ihrer Wunschperson nach, was diese für ein Votum empfiehlt.
Sie abonniert den Blog der Wunschperson, darin die Kategorie „Abstimmungen“ als Feed, und erhält automatisch alle Abstimm-Empfehlungen.
Sie klickt im SMV-System auf „Abstimm-Empfehlungen abonnieren“ und erhält diese in der Benutzeroberfläche, wo sie diese nur noch per Klick bestätigen muss.
Sie klickt im SMV-System auf „an diese Person delegieren“ und überträgt ihr das Stimmrecht / stimmt automatisch wie sie ab.

Dazwischen gibt es noch viele weitere spannende Stufen, und jeder Punkt kann jeweils auf unterschiedliche Weise umgesetzt und reguliert werden – mit ganz unterschiedlichen Folgen: mehr zu Regulierung unten unter „It’s the system, stupid! Democracy by design.“.

Nur bitte nicht mehr simpel „Freiheit!!1“ und „Verbote!!1“ rufen, um wichtige Debatten zu verhindern.

5 Demokratie kostet Zeit.

Ein häufiges Argument pro Delegationen ist, dass sie Zeit sparen. Das ist jedoch falsch.

Delegationen sollen dezentrale Wissensnetzwerke abbilden und Wissen in zwei (!) Richtungen austauschen; und nicht Zeit sparen.

Es kostet Zeit, sich zu informieren, welche Person von dem Delegierenden als wissend oder vertrauenswürdig eingestuft wird.
Es kostet Zeit, die ursprünglichen Annahmen zu überprüfen.
Es benötigt Wissen und Erfahrung, festzustellen, wer sich als Delegierter eignet.
Das bedeutet, es hat nicht nur ein (Super-)Delegierter Wissen, sondern auch Delegierende: Wissen fließt nicht nur unidirektional, sondern in zwei Richtungen.
Dieser Wissensaustausch in diesem Netzwerk kostet Zeit.

Wenn Delegationen mit dem Ziel der Zeitersparnis umgesetzt werden, wird das Resultat ein völlig anderes System mit anderen Eigenschaften sein, als wenn das Ziel das Abbilden eines dezentralen Wissensnetzwerks mit Wissensflüssen ist.

(Blindes Vertrauen in Delegationen würde natürlich Zeit sparen. Aber nur durch das Einsparen von Demokratie.)

Wie wird aber das Zeitproblem gelöst, so dass nicht nur wenige Menschen mit besonders viel Zeit an der SMV mitbestimmen können?

Durch kluge Strukturen, die eine partizipatorische Demokratie abbilden.
Durch Transparenz, Übersichtlichkeit und intuitive einfache Benutzbarkeit der graphischen Oberfläche der SMV.
Durch einen festen zeitlichen Abstimmungsrhythmus (zum Beispiel ein fester Abstimmungstag einmal die Woche).

Und nicht durch blindes Vertrauen.

6 Macht muss kontrolliert werden.

Gewaltenteilung ist eine der klügsten Erfindungen der Menschheit. Und unsere Verfassungen lassen es auch richtigerweise nicht zu, „demokratisch“ einen Diktator zu wählen und per Wahl mit allen Rechten auszustatten. Sie verbieten es, und das ist gut so.

Denn beide diese Beispiele basieren auf einer viel allgemeineren Erkenntnis, die wir auch bei einer SMV beachten müssen:

Unkontrollierte Macht und Machtanhäufung führen dazu, dass Entscheidungen mit der Voreingenommenheit (oder dem Eigeninteresse) getroffen werden, die erhaltene Macht zu behalten.

Nicht nur das, ist die Macht einmal unkontrolliert angehäuft, wird auch dem Einführen von Kontrollmechanismen entgegengewirkt, die diese Macht kritisch in Frage stellen, kontrollieren, oder wieder entziehen könnten.
Je größer die Machtanhäufung ist, und je größer der Mangel an Kontrolle ist, desto schwieriger/unmöglicher wird es, das wieder rückgängig zu machen. Und teilweise entsteht dadurch leider sogar Gewalt, wie historisch zu sehen ist.

Ist die Machtfrage bei der SMV überhaupt relevant? Gibt es überhaupt Hebel, falls tatsächlich Macht angehäuft worden sein sollte, um Druck auszuüben? Ja, denn praktisch alle Piraten haben ein Interesse an bestimmten inhaltlichen Positionen, und z.B. an „Sonstige innerparteiliche Angelegenheiten“ oder der Geschäftsordnung der SMV selbst, und wünschen sich, dass ihr Interesse Erfolg hat.

Wie kann Kontrolle erreicht werden?

Kontrolle benötigt zwei Dinge: Wissen über die Vorgänge (Transparenz), und Handlungsmöglichkeiten (z.B. Kommunikation in beide Richtungen, Abwahl, Delegationsentzug, …). Entscheidend ist: Beides darf nicht nur theoretisch möglich sein, sondern muss auch praktisch mit realistischem Aufwand machbar sein. Mehr dazu jetzt unter „It’s the system, stupid! Democracy by design.“.

7 It’s the system, stupid! Democracy by design.

Wir gestalten eine demokratische Institution, die bindende Beschlüsse treffen soll.
Wichtig: Die Regulierung einer solchen Institution ist nicht trivial.
Es ist vergleichbar mit dem Schreiben einer Verfassung.

Delegationen exakt so wie im aktuellen LQFB (LiquidFeedback) der Piratenpartei einfach auch in der SMV-Institution umzusetzen, sollte nicht unkritisch als selbstverständlich oder alternativlos angenommen werden, sondern muss wie alles andere überprüft werden. Es geht beim Delegieren um nicht weniger als das Übertragen des eigenen Stimmrechts! (Und das eventuelle Wieder-Zurückholen.) Im aktuellen LQFB klagen sehr viele Piraten über wenige, aber mächtige, Superdelegierte.

Die getroffenen Regeln innerhalb der Institution sollten unsere Kultur der demokratischen Partizipation widerspiegeln.
Treffen die Regeln nicht unserere Mitbestimmungs-Kultur, gibt es Frustration, und die Ergebnisse bringen uns nichts.
Die Regeln müssen auch die oben im Posting genannten Punkte beachten.
Denn wenn die Regeln hierarchische Systeme blinden Vertrauens in Autoritäten widerspiegeln, wird auch unsere SMV so aussehen.
Wir legen die Regeln jetzt fest, aber sobald die Regeln stehen, haben auch die Regeln selbst Macht und prägen und bestimmen die Kultur innerhalb der Institution. Es ist eine wechselseitige Beziehung.

Oder, wie Lawrence Lessig sagen würde: „Code is law“ („Der Code ist das Gesetz“). Das Design der Institution SMV legt durch ihre Regeln, ihren Code, die Freiräume in ihr fest, und welche Kulturen/welches Verhalten/welche demokratisch Gesellschaft in ihr in welchem Ausmaß möglich oder begünstigt ist.

Allgemeine Beispiele dafür, wie wichtig Regeln und Design eines Systems sind:

  • Würden Regierungen und Abgeordnete auf unbegrenzte Zeit so lange im Amt bleiben, bis sie aktiv durch ein Volksbegehren abgewählt würden, würde unsere Demokratie ganz anders aussehen, obwohl die theoretisch freie Möglichkeit zur Abwahl besteht.
  • Es ist besser, private Daten gar nicht erst zu erheben und zu speichern, obwohl sie auf Antrag löschbar wären. (Privacy by design)
  • Es ist besser, wenn die Standardeinstellung beim Installieren/Nutzen eines Betriebssystems, Programms oder Social Networks auf maximale Privatsphäre als Standard voreingestellt ist, obwohl der Nutzer die Einstellung immer selbst frei ändern/einstellen kann. (Privacy by default)
  • Es ist ein großer Unterschied, ob öffentliche Meldeämter Daten immer an kommerzielle Unternehmen weiterverkaufen dürfen, es sei denn es wird aktiv widersprochen (Opt-Out), oder ob sie nur bei aktiver Zustimmung verkauft werden dürfen (Opt-In).

Deshalb jetzt die entscheidende Regel, um auch mit Delegationen eine Kultur der Partizipation, der dezentralen Wissensnetzwerke, und der demokratischen Kontrolle von Macht sicherzustellen:

Der Aufwand, eine Delegation zu entziehen (und dafür muss das Problem mitbekommen werden!) muss kleiner sein, als eine Delegation bestehen zu lassen.

Es ist keine freie Wahl des Einzelnen möglich, wenn der Aufwand die Delegation zu entziehen, größer ist, als den Status Quo zu erhalten.

Wichtig dabei: (1) Um eine Delegation entziehen zu können, muss überhaupt erst das Wissen erhalten werden, um in der Lage zu sein, potentielle Probleme feststellen zu können. Das kann je nach Gestaltung des Systems ein großer Aufwand sein, und erfordern, dass einzelne Aktive an hunderten Türen klingeln, hunderte Menschen einzeln anschreiben, oder Infostände durchführen, um auf Machtmissbrauch hinzuweisen (meist vergeblich) – oder es kann bereits im System per Design implementiert sein. (2) Es geht nicht um theoretische Möglichkeiten, sondern praktische Aufwandsgrößen und Hürden in der Realität.

Denn aus dem Verhältnis dieser Aufwände speist sich die unkontrollierte Macht von Superdelegierten.
Ein System, bei dem der Aufwand, von einem Abstimmungsergebnis zu erfahren, und daraufhin die Delegation zu entziehen, deutlich höher ist, als eine Delegation beizubehalten, führt zu wenigen Superdelegierten, die in dem Bereich zwischen den beiden Aufwänden willkürlich herrschen können. Je größer der Aufwandsunterschied ist, desto größer dieser Bereich der willkürlichen Herrschaft. Erst wenn die willkürliche Nutzung der Macht höher als der Aufwandsunterschied ist und als unerwünscht auffällig wird, ist die Hemmschwelle überschritten, und erst dann ist eine wirklich freie Wahl möglich, ob die Delegation entzogen werden soll, oder nicht.

Wie kann der Aufwand, eine Delegation zu entziehen inklusive dem Aufwand, Probleme überhaupt erst zu erfahren, reduziert werden, im Vergleich zum Bestehenlassen einer Delegation?

Per Design des Systems.

Der erste Ansatzpunkt ist, die Prozesse im SMV-System so zu gestalten, dass die Nutzenden bei der Benutzung der SMV „nebenbei“ wichtiges Wissen erhalten, Übersichten zu ihrer Kontrolle angezeigt bekommen und diese bestätigen, um in der Lage zu sein, Probleme festzustellen.
Der zweite Ansatzpunkt ist, einmal abgebene Delegationen nicht als Machtanhäufung bei anderen für immer zu zementieren, sondern ihre Liquidität zu erhöhen. Nur dann ist es tatsächlich „Liquid Democracy“.

Konkrete Vorschläge:

  • Eine Stimmabgabe setzt voraus, dass ein Mensch aktiv geklickt hat, und das abzustimmende Thema dabei zumindest ein Mal auf dem Bildschirm angezeigt wurde. Bei einer delegierten Stimme heißt das, dass der Delegierende die empfohlene Stimmabgabe bei der Abstimmung durch einen Klick bestätigen muss (Opt-In).
  • Delegationen verfallen automatisch nach einem festen zeitlichen Ablauf, zum Beispiel nach 30 Tagen. Außer sie werden in einer Übersicht durch einen Klick aktiv bestätigt, in der die Delegationen dem Benutzer angezeigt werden.
  • Die Delegationen und alle Abstimmungen, bei denen eine Person durch Stimmrechtsübertragungen teilgenommen hat, werden transparent und übersichtlich in der Benutzeroberfläche aufgelistet.
  • Alle Delegationen, Delegationswege und Abstimmungen durch Stimmrechtsübertragungen sind für alle Stimmberechtigte der SMV voll transparent einsehbar. Die Teilnehmenden der SMV können die Ergebnisse selbst nachrechnen, und Delegationen zum Vergleich miteinberechnen und herausrechnen.
  • Es ist im SMV-System möglich, Nachrichten zu versenden, die beim Login angezeigt werden. Es ist möglich, an alle gleichzeitig zu schreiben, die auf eine Person delegiert haben, die durch Stimmrechtsübertragung für sie abgestimmt hat.
  • Es werden E-Mail-Benachrichtigungen für Nachrichten, Abstimmungen, sowie zu den Resultaten und Wegen von Stimmrechtsübertragungen verschickt. Und E-Mails als Benachrichtigungen, zwei Tage bevor Delegationen verfallen sollten.
  • Delegation muss feingranular auch nur für einzelne Themenbereiche oder einzelne Themen-Abstimmungen möglich sein.
  • Analog zur Kontrolle von Parlament, Regierung, Ausschüssen durch die Pressefreiheit muss es erlaubt sein, auch außerhalb der SMV-Institution über Abstimmungsergebnisse und die Entscheidung mächtiger Superdelegierter zu sprechen (inklusive Pseudonym/Name im System). Große Macht bedeutet auch große Transparenz.
  • Eventuell sollte möglich sein: Das Festlegen der Delegationstiefe / ob das delegierte Stimmrecht vom Empfänger der Delegation an andere weitergegeben werden darf; und Präferenzdelegationen.
  • Eventuell: Obergrenze an Stimmgewicht / Stimmrechtsübertragungen, die eine Person durch Delegationen erhalten kann.

8 Was will ich eigentlich wissen?

Mich interessiert die Meinung von Piraten.

Nicht von Fraktionsvorsitzenden oder Bundesvorsitzenden.
Nicht von Superdelegierten, deren Rückhalt nicht kritisch überprüft ist, sondern auf inaktiven, unwissenden, blind vertrauenden Stimmrechtsweggaben basiert. Denn in diesem Fall repräsentieren die Superdelegierten leider nicht wirklich diese Piraten, auch wenn sie deren Stimmrecht haben, sondern nur ein ungleiches Aufwandsverhältnis einer noch stark verbesserungswürdigen Umsetzung von Delegationen.

Ich will wissen, welche Meinung mündige und selbst denkende Piraten zusammen bilden und beschließen — auch gerne inklusive der Piraten, die ihre Stimme an andere delegieren, aber dies kritisch hinterfragend und überprüfend tun, in einem System, das für diesen Zweck ausgelegt ist. Ich will Piraten, die partizipieren, teilhaben, und Wissen austauschen können. Ich will Zeit sparen, durch ein gut strukturiertes System und einen festen Abstimmungsrhythmus, und nicht durch das Einsparen von Demokratie.

Nicht nachmodellieren will ich das aktuelle klassische repräsentative und vor allem hierarchische System der Politik.

Ich will eine emanzipatorische, aufklärerische, demokratische SMV. Jetzt.

Delegationen bestätigen: Der Nutzer bestätigt die Gültigkeit und Wirksamkeit von Delegationen; und erhält diese dabei auch in der Benutzeroberfläche angezeigt. (CC-BY-SA TheCitizen.de , ursprüngliches Clipart: CC-BY-SA Niels Lohmann)30 Tage Delegationen: Nach 30 Tagen verfallen Delegationen automatisch, außer der Nutzer bestätigt sie. (CC-BY-SA TheCitizen.de , ursprüngliches Clipart: CC-BY-SA Niels Lohmann)


Andere Blogbeiträge zum Thema:

Blogbeiträge zum Thema mit meiner Meinung nach exzellenter Betrachtung und Illustration einiger Tücken von Delegationen:

  • @incredibul fasst die Gefahren von Technokratie (Delegationen) und die Gefahren direkter Demokratie exzellent zusammen.
  • @Street_Dogg mit 1, 2, 3, 4 bemerkenswert detaillierten Analysen in LQFB zu Delegationen, Superdelegierten, Machtanhäufung.
  • @cmrcx zum Argument der Delegationen-Befürwortenden „Man müsse ja nicht delegieren“. (Ich würde dieses Problem als das Pooling von Stimmen bezeichnen.)

Blogbeiträge zum Thema mit meiner Meinung nach zu unkritischer Befürwortung von Delegationen und Vertrauen in Autoritäten:

  • @kc__dc befürwortet Delegationen: „Delegation ist das bedingungslose Vertrauen“.
  • @NavyBK begründet Delegationen ebenfalls auf „Vertrauen“.
  • @mundauf lobt die Technokratie.

Read in English.


Diese(s) Werk bzw. Inhalt von TheCitizen.de steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.

8 Kommentare zu “SMV jetzt! Aber blindes Vertrauen in Delegationen ist der falsche Weg. Für Demokratie und Partizipation.

  1. Auch wenn ich Deine Hypothese am Anfang in der Form nicht teile („SMV ist alternativlos“ – was ist mit Onlineparteitagen? Urabstimmungen mit Onlineunterstützung…?), finde ich den Teil zu den Delegationen doch ziemlich gelungen und werde wohl auch einige Deiner konkreten Vorschläge für die Diskussion aufgreifen.
    Allerdings finde ich, dass Du stellenweise mit der Argumentation noch sehr an der Oberfläche bleibst (vermutlich damit der Text nicht zu lang wird).

    Themenbereichsdelegationen halte ich beispielsweise für gefährlicher als globale Delegationen, da hier eine häufig willkürliche Einordnung in einen Themenbereich das Ergebnis vorweg nehmen kann.

    Hier habe ich (unter anderem) einmal die verschiedenen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Delegationssysteme umrissen:
    http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Lama/AzPT bzw hier
    http://piratehonk.blogspot.de/2013/03/gastbeitrag-lama-azpt.html
    (selber Text)

    Die Einleitung und der Schluss beziehen sich zwar konkret auf Ba-Wü, aber alles dazwischen ist universell.
    Gruß
    Lama
    (@Piratenlama)

  2. Deiner grundsätzlichen Argumentation folge ich vollkommen, die identifizierst die Probleme, die nicht nur ich auch bei der Umsetzung der SMV sehe, sondern auch einige der wesentlichen Punkte, die die Akzeptanz einer SMV gefährden und die auch zu einer sehr ungleichmäßigen Akzeptanz von LiquidFeedback (insbesondere in einigen Landesverbänden) geführt haben. Der wichtigste wohl ist das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Superdelegierten und denjenigen, die mit dem System bereits vertraut sind.

    Zu deinen konkreten Vorschlägen:

    1. „Eine Stimmabgabe setzt voraus, dass ein Mensch aktiv geklickt hat, und das abzustimmende Thema dabei zumindest ein Mal auf dem Bildschirm angezeigt wurde. Bei einer delegierten Stimme heißt das, dass der Delegierende die empfohlene Stimmabgabe bei der Abstimmung durch einen Klick bestätigen muss (Opt-In).“

    Ich fürchte, das geht so nicht.
    Während der Abstimmung herrscht aus gutem Grund in LQFB keine Transparenz über das individuelle Abstimmverhalten. Die Kenntnis des Zwischenstandes einer laufenden Abstimmung ermöglicht taktisches Abstimmen und gibt denen, die zu einem späten Zeitpunkt abstimmen, einen Erkenntnisvorsprung.

    Was man stattdessen machen kann:
    Die Delegation vor der Abstimmung bestätigen lassen unter Anzeige der Person, auf die die Delegationsstimme aktuell fällt – bei Kettendelegation also die erste Person in der Kette, die bereits abgestimmt hat, ansonsten die am Ende der Kette – und unter Auflistung der Initiativen, die die betreffende Person vor der Abstimmung _unterstützt_ hat. Ich lasse mich gerne korrigieren, falls ich etwas übersehe, aber ich glaube, die Information darüber, wer bereits abgestimmt hat, ist im Gegensatz zu der Information, _wie_ das aktuelle Zwischenergebnis der Abstimmung aussieht, unkritisch.

    Ich weiß aber auch nicht, ob diese Bestätigung jeder einzelnen Abstimmung zwingend notwendig ist, wenn man 2 hat.

    2-4: D’accord.

    5. „Es ist im SMV-System möglich, Nachrichten zu versenden, die beim Login angezeigt werden. Es ist möglich, an alle gleichzeitig zu schreiben, die auf eine Person delegiert haben, die durch Stimmrechtsübertragung für sie abgestimmt hat.“

    Ok, so lange man die Möglichkeit hat, die Nachrichten von bestimmten Personen abzustellen. Es gibt leider Leute, denen kein Kommunikationsweg zu blöd ist, um andere zu belästigen, deshalb muss es jedem Mitglied möglich sein, sich der Kontaktaufnahme durch bestimmte andere Mitglieder zu verwehren.

    6. „Es werden E-Mail-Benachrichtigungen für Nachrichten, Abstimmungen, sowie zu den Resultaten und Wegen von Stimmrechtsübertragungen verschickt. Und E-Mails als Benachrichtigungen, zwei Tage bevor Delegationen verfallen sollten.“

    So lange man die Mail-Benachrichtigungen abstellen kann, ok. Ich finde es richtig, dass man an dem System nur teilnehmen kann, wenn man ein Mindestmaß an Aktivität zeigt. Aber ob man an diese Anforderung erinnert werden will, muss man selbst entscheiden können.

    7. Logo.

    8. „Analog zur Kontrolle von Parlament, Regierung, Ausschüssen durch die Pressefreiheit muss es erlaubt sein, auch außerhalb der SMV-Institution über Abstimmungsergebnisse und die Entscheidung mächtiger Superdelegierter zu sprechen (inklusive Pseudonym/Name im System). Große Macht bedeutet auch große Transparenz.“

    Das finde ich problematisch. Da man Delegationen nicht ablehnen kann, müssen Leute, die von der Geschlossenheit des Nutzerkreises profitieren wollen, dann aktiv darauf achten, nicht zu viele Delegationen zu bekommen. Außerdem muss man eine feste Grenze definieren, ab wann man als Superdelegierte*r gilt. Es ist aber nicht realistisch, dass Leute in ihrer Kommunikation ständig nachschauen, wie viele Delegierte jemand gerade hat, zumal das ja keine feste Größe ist und von dem jeweiligen Abstimmungsverhalten in einem bestimmten Thema abhängt. Ich halte das also auch nicht für praktisch umsetzbar. Sinnvoller finde ich es, die Mitglieder zu bitten, Informationen über das Abstimmungsverhalten einzelner Personen nicht nach Außen zu tragen. Es besteht ja trotzdem weiter die Möglichkeit, sich untereinander über das Abstimmverhalten beliebiger Delegierter zu unterhalten.

    9. „Eventuell sollte möglich sein: Das Festlegen der Delegationstiefe / ob das delegierte Stimmrecht vom Empfänger der Delegation an andere weitergegeben werden darf; und Präferenzdelegationen.“

    Finde ich sehr sinnvoll, da sich in der Praxis immer wieder zeigt, dass über eine bestimmte Zahl von Delegationsschritten die ursprüngliche Intention des oder der Delegierenden in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Alternative wäre, dass das Gewicht von Delegationen mit zusätzlichen Delegationsschritten abnimmt.

    10. „Eventuell: Obergrenze an Stimmgewicht / Stimmrechtsübertragungen, die eine Person durch Delegationen erhalten kann.“

    Darauf würde ich zu Gunsten von 9. verzichten, weil es eine Reihe von Folgeproblemen schafft. Z.B.: Wie viele Delegationen eine Person für ein bestimmtes Thema wirklich hat, legt sich erst im Laufe der Abstimmung fest. Man weiß also nie, ob die eigene Stimme nicht im letzten Moment ungültig wird, wenn man auf eine Person delegiert, die bereits viele Delegationen hat.

    Eine weitere Anregung von mir bzgl. der Informationen, die im System angezeigt werden sollen:

    Jedes Mal, wenn man seine Stimme delegiert oder eine Delegation erneuert, sollte folgende Information angezeigt werden:
    – Zahl der Themen (global und in diesem Themenbereich), bei denen der/die Delegierte so abgestimmt hat wie du (pro/contra/Enthaltung, nicht die jeweiligen Gewichtungen, das wird zu kompliziert)
    – Zahl der Themen (global und in diesem Themenbereich), bei denen der/die Delegierte anders abgestimmt hat als du
    – Zahl der Themen (global und in diesem Themenbereich), bei denen der/die Delegierte genauso bzw. anders abgestimmt hat als die Person, an die du dieses Thema delegiert hattest

    Ein Klick auf diese Informationen sollte zu einer Auflistung der jeweiligen Initiativen führen.

    Oftmals gründet eine Delegation nämlich eher auf dem Gefühl, jemand vertrete eine ähnliche Meinung oder sei allgemein kompetent, ohne dass das wirklich empirisch überprüft wird. Vorausgesetzt, dass man selbst in der Vergangenheit ein wenig im System partizipiert hat (und sei es durch Delegationen), hat man dann die Möglichkeit, die gefühlte thematische Übereinstimmung niederschwellig zu überprüfen.

  3. Die wievielte _Idee_ ist die SMV schon innerhalb der Piratenpartei, die die Mitglieder blind akzeptieren müssen, anstatt dass man denen klar macht, _wie_genau_ die Ausführung der Idee sein soll?

    Eine SMV auf Basis des schon in der Benutzerfreundlichkeit katastrophalen Liquid Feedback stehen die meisten Piraten deutlich entgegen. Sie warten auf ein ausgearbeitete Idee. Stattdessen werden sie mit Ideologie abgespeist.

    Nein Danke, nicht schon wieder.
    Aleks

  4. Pingback: Die Ständige Mitgliederversammlung | Piratenpartei NRW – Kreis Lippe

  5. Hallo Meister – um die Probleme zu lösen, muß man von
    – Maschinen (Programme,..) und
    – Menschen ne Ahnung haben.
    Deine Wünsche und Forderungen sind weitestgehend berechtigt und großenteils gut durchdacht.
    Vielleicht kann ich Dir ne grundsätzliche Antwort mit http://www.BundesBox.de geben – und bald auch detaillierter und praktisch anwendbar.
    Das Ganze erscheint mir ein hilfloser und haltloser Wunschtraum – also nicht traurig sein, wenn Piratens das nicht alleine schaffen.

  6. Pingback: Bundestagswahl 2013: Der Trend geht zur Postdemokratie. | TheCitizen.de

  7. Pingback: Weg aus dem Scheitern: Für eine klare emanzipatorische Haltung und eine moderne demokratische Struktur. Piraten. | TheCitizen.de

  8. In Österreich gibt es die SMV mittels Liquid (liquid.piratenpartei.at) und zwar für verbindliches programm, GO und SATZUNG!
    Seit mittlerweile über einem Jahr ohne Probleme. Allen Kritikern sei daher gesagt: Denkt um, denn es funktioniert in der Praxis!

    Zum Thema Delegationen: Wie oft man diese bestätigen muss ist diskutabel.
    6 Monate ist akzeptabel aber schon einigermaßen niedrig.
    ich denke dabei immer an leute, die kaum nen computer bedienen können aber dennoch gern partizipieren wollen. dies ist einfach nur per automatischer stimmkopie möglich.

    in wirklichkeit ist das größte hindernis weiterhin das wort „delegation“.
    Sowohl bei diskussionen auf twitter als auch hier wieder wird es so dargestellt, als sei dies unterschiedliches stimmgewicht bzw eine stimmübertragung. Zitat: „Delegationen (Übertragung des eigenen Stimmrechts)“. Wie soll sich jemals breite Akzeptanz bilden, wenn man hier offenbar unterschiedliches Stimmgewicht propagiert. das wird nie und nimmer auch nur ansatzweise mehrheitsfähig, solange es so (falsch) dargestellt wird.
    ich schlage vor, von „automatischer stimmabgabe“ zu sprechen und von dem „Folgen“ anderer Personen. denn die Stimme wird nicht Übertragen sondern verbleibt zur jederzeitigen „Selbst-Abstimmung“ bei dem Einzelnen. es liegt als keine Übertragung vor. Und jeder stimmt nur mit seiner eigenen Stimme ab. dass andere eingestellt haben, dass sie (selbst) automatisch gleich abstimmen, hat mit Stimmenkumulation genau nix zu tun.

Hinterlasse eine Antwort zu Aleks Lessmann Antwort abbrechen