Piraten statt Angst.

In der Piratenpartei ist das eingetreten, wovor wir selbst immer warnten: Von Angst und Rückschrittlichkeit geleitete Politik, die nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zulässt. Doch eine moderne Partei hat nur Sinn, wenn sie mit mutigem Gestaltungswillen nach vorne schaut und den anstrengenden Weg wagt, ihre Forderungen und ihre Gesellschaftsvision zu erklären.

Die KriseDer StreitDie Vision

Die Krise

Die Berliner Piraten erringen 2011 den ersten großen wichtigen Erfolg der Piratenpartei Deutschland. Daraus entsteht auch ein bundesweiter Hype, dem naturgemäß die Krise folgt. Und darin die Angst. Seit 2012 gelten wir Piraten dann als zerstritten. Das sind jedoch alle politischen Parteien, nur ist es hier transparenter. Das ist gut. Das Problem liegt an anderer Stelle. Der politische Streit wird immer stattfinden, aber nicht immer im Vordergrund des medialen Bewusstseins stehen. Der entscheidende Punkt ist, dass die Piratenpartei als Organisation die innere Stärke verloren hat, ihre Themen in die Debatte zu bringen und sie glaubwürdig politisch zu vertreten und dann umzusetzen.

Beispielsweise konnten 2012, in der bundesweiten Debatte über Sozialpolitik, die neuen Ideen der Piraten, wie das bedingungslose Grundeinkommen, nicht erfolgreich auf die politische Agenda gesetzt werden. Dies verhinderten wir als Partei selbst und konterkarierten in der Öffentlichkeitsarbeit das eigene Programm. Darin wird, statt Vollbeschäftigung und Arbeitspflicht, das bedingungslose Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen gefordert.

Im Folgejahr 2013 konnte die Piratenpartei, trotz der weltweit diskutierten Enthüllungen über Geheimdienste des Whistleblowers Edward Snowden, keine ihrer lange bestehenden Ideen zu dem Thema in die Debatte bringen. Abgesehen von einigen sehr guten Auftritten und Beiträgen gelang es nicht, die Wichtigkeit des weltweiten Schutzes der Privatsphäre im Internet und eine generelle Kritik an allen Geheimdiensten wirksam zu platzieren. Insgesamt blieb die Argumentation von uns als Piraten in der Öffentlichkeit nicht unterscheidbar von den meist populistischen und teilweise inakzeptablen nationalistischen Rufen der anderen Parteien. Das Resultat ist, dass in der bundespolitischen und netzpolitischen Debatte Stimmen dominieren, die national eingegrenzte Netze wünschen oder die Geheimdienste BND und Verfassungsschutz sogar noch stärken wollen.

Auch das Versprechen nach mehr echter direkter und indirekter demokratischer Mitbestimmung konnte die Piratenpartei trotz einiger lobenswerter Schritte wie LiquidFeedback bisher nicht einlösen. Die Ständige Mitgliederversammlung (SMV), die online, bindende und überprüfbare Beschlussfassungen, Diskussion und Programmentwicklung erlaubt, gibt es bisher nur in einigen Landesverbänden der Piraten, wie zum Beispiel aktuell in Berlin beschlossen.

Der Streit

Anfang 2014, nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl, ist der lange anhaltende interne Streit der Piratenpartei so laut und intensiv wie noch nie. Doch worum geht es im Streit eigentlich?

  • Ein Streit zwischen linksradikalen, linksliberalen, sozialliberalen und rechtsliberalen?
  • Ein Streit zwischen Kernies, die nur Netzpolitik oder andere Themen behandeln wollen, und Vollies, die ein vollständiges Programm und Gesellschaftsbild vertreten wollen?
  • Ein Streit zwischen „Urpiraten“ aus 2006/2009 und der Vielzahl später eingetretener „Unterwanderer“?
  • Ein Streit zwischen „Kleingeistern“ und „Visionären“?
  • Ein Streit zwischen politisch gebildeten und diskriminierenden?
  • Ein Streit zwischen Aktivist*innen und Parlamentsdemokrat*innen?

Ich denke, alle der genannten Streitkategorien spielen eine Rolle, sind jedoch lösbar. Denn das wirkliche Problem ist ein anderes: fehlender Mut. In der Krise herrscht bislang die Angst.

Die Piratenpartei ist links. Das ist klar, wenn das Programm und die Forderungen der Piratenpartei politikwissenschaftlich betrachtet werden. Das ist klar, wenn die Selbsteinordnung der Piraten im Wiki analysiert wird, bei der praktisch alle Mitglieder deutlich im links-antiautoritären Spektrum verortet sind. Bis auf einige wenige Positionen am rechten Rand halte ich die Positionen aller Piraten, die sich unter anderem als linksradikal, linksliberal, sozialliberal sehen, für mehr als vereinbar und passend zu Programm und Zielen der Piraten. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, uns den zutreffenden Begriff „links“ einzugestehen und dann, wie wir gemeinsam damit umgehen.

Die Kernthemen der Piratenpartei leben von einem vollständigen und stimmigen Gesellschaftsbild. Nur wenn klar ist, warum die Privatsphäre wichtig ist, warum der freie Zugang zu Wissen essentiell ist, warum dies Teil unseres Menschenbildes ist, können beispielsweise Netzpolitik oder Urheberrecht erfolgreich argumentiert und vertreten werden. Es ist klar und gut, dass alle Piraten ihre Schwerpunkte anders setzen. Entscheidend ist, dass niemand blockiert wird, wenn er sich für eine beschlossene Programmposition einsetzt. Eine auf ehrenamtlicher Organisation basierende Partei ist kein Nullsummenspiel: Wenn jemand daran gehindert wird, sich für mehr Teilhabe einzusetzen, stärkt das niemanden, der sich für Netzneutralität einsetzt, sondern verhindert einfach nur mehr Teilhabe. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, uns einzugestehen, dass wir ein Weltbild haben, und uns deswegen für unsere Themen einsetzen.

Egal ob seit 2006, seit 2009 oder seit später dabei: Alle Piraten sind gleichwertig. Und Piraten sind vorne. Vorne in dem Sinne, dass wir uns politisch weiterbilden und als Partei weiterentwickeln, unsere Vorstellungen konkreter und besser formulieren und begründen und auf andere Problemstellungen übertragen. Wir schätzen den mühevollen Aufbau der Piratenpartei, aber betreiben keine falsche Verklärung der Vergangenheit. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, in die Zukunft zu schauen, um mit allen, die unsere Ziele teilen, Politik zu gestalten.

Kleingeister ist ein abwertender Begriff. Alle Piraten haben Visionen und Ziele, sonst würden sie sich nicht politisch einsetzen. Als relativ neue Partei haben wir im Parteiensystem jedoch nur Sinn, wenn wir bestehendes hinterfragen und moderne, auch utopisch klingende, Lösungen anstreben wollen. Dies kann aber auf viele Weisen geschehen und kleine Schritte sind ein wichtiger Teil davon, solange das weitergehende Ziel genannt und klar bleibt. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, unsere neuen Ideen in der Öffentlichkeit mühsam und gegen verständliche gesellschaftliche Widerstände zu erklären, ohne übervorsichtiges Zurückrudern, dafür mit Überzeugung.

Niemand ist sich von Anfang an jeder Diskriminierungsform bewusst. Viele Piraten berichten, dass sie durch ihre Aktivität in der Piratenpartei viel politisch dazulernten, ihnen viel existierende und gesellschaftlich weit verbreitete Diskriminierung auffiel und die Wichtigkeit eines bewussteren Umgangs gegen Diskriminierung klar wurde. Ob gemeinsam erlernt oder alleine. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, immer weiterzulernen, offen für neues Wissen zu sein, und ob wir den Mut haben, einzuschreiten gegen Sexismus, Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus, Homophobie und weitere Diskriminierungsformen, oder andere im Engagement gegen Diskriminierung zu unterstützen, oder andere darin mitzunehmen, und zu fragen, wenn eins selbst noch nicht alles weiß.

Die politische Willensbildung und der gesellschaftliche Meinungsaustausch geschehen nicht nur in Parlamenten. Politik besteht nicht nur aus Anträgen und Gesetzesentwürfen in Parlamenten, auch wenn diese für zahlreiche Funktionen essentiell sind. Auch auf diesem Wege sowie durch Parlamentsdebatten erzielten wir Piraten schon viele Erfolge. Doch sind vor allem kleine Parteien und welche, die nicht in Regierungsverantwortung sind, zusätzlich auf außerparlamentarische Tätigkeit und Aufmerksamkeit angewiesen. Dies ist eine der Stärken der Piratenpartei, die es geschafft hat, zum Beispiel gegen ACTA und gegen die Bestandsdatenauskunft schnell bundesweit zahlreiche Protestkundgebungen zu organisieren. Politik wird dann umgesetzt, wenn Menschen überzeugt werden. Auch wurden viele Ideen der Piraten, wie beispielsweise Transparenz, von anderen Parteien allein durch öffentlichen Diskurs übernommen. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, mit kreativen Aktionen, Demonstrationen, genauso wie im Parlament aufzuklären, zu kommunizieren und zu debattieren.

Die Vision

Piraten statt Angst. Es ist der Mut, der fehlt. Um Rückschrittlichkeit, Lähmung, Opportunismus und Furcht zu stoppen, ist der zentrale Punkt, unser Programm ernstzunehmen und daraus Mut zu schöpfen. Denn wir können darauf vertrauen, dass unser nach langwierigen demokratischen Prozessen mit immer mehr als Zwei-Drittel-Mehrheiten erzieltes Programm kein Blödsinn ist. Dabei ist es auch wichtig und gut, die darinsteckenden Werte zu debattieren und weiterzudenken. Habt Mut, euch eures eigenen Programmes zu bedienen! Dieses Vertrauen in unser Programm nutzen wir dann nicht nur, um es couragiert zu vertreten, sondern auch, um wieder neues Vertrauen zu den anderen Piraten aufzubauen, die es ebenfalls unterstützen.

Unsere Ideen

  • Digitale Menschenrechte für alle, von Privatsphäre bis Netzneutralität und dem Zugang zu Wissen und Kultur.
  • Analoge Menschenrechte für alle, wie das bedingungslose Recht auf Existenz und das bedingungslose Grundeinkommen.
  • Teilhabe an Demokratie und Gesellschaft durch mehr echte Mitbestimmung und Transparenz.
  • Transnationales Denken für eine grenzenlose, globale Gesellschaft der Freiheit, Gleichheit und Solidarität, statt Konkurrenzkampf von Nationen.
  • Innerparteiliche Umsetzung moderner Entscheidungsfindung zur am besten organisierten demokratischen Partei.

sind es wert, sie in das Europaparlament, in Kommunen, in die Welt zu tragen.

Weiterlesen:

Meine Postings zu Piraten-Strategie: Fünf Piraten-Werte, Wofür stehen die Piraten? Menschenrechte für alle., Weg aus dem Scheitern: Für eine klare emanzipatorische Haltung und eine moderne demokratische Struktur. Piraten. und Bundestagswahl 2013: Der Trend geht zur Postdemokratie. Strategie für Piraten.
Unsere Europäische Vision: Europa – Grenzenlos.
Zum Begriff ‚links‘: Huch, wir sind ja links!, Ist die Piratenpartei links?, Die Piratenpartei ist hyperlinks!.
Dieses Posting von mir ist auch eine Antwort auf die Anstöße zur Wertedebatte: Wir brauchen eine Wertedebatte, Wertedebatte.


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3 Kommentare zu “Piraten statt Angst.

  1. bis auf Punkt 4 stimme ich zu, bei Punkt 4 liegt die Crux: 1. Das Denken als Politisches Ziel vorzugeben sehe ich sehr kritisch weil im 100%igen Widerspruch zur Gedankenfreiheit + hier ist der Konflikt zwischen pro-deutsch und anti-deutsch: akzeptieren der nationalen Ebene als eine politische Ebene unter vielen oder vollständige globale Eliminierung dieser Ebene und damit auch zB des Grundgesetzes und Teile der Zivilgesellschaft , siehe hier http://liberalundkooperativ.blogspot.de/2014/02/losungsvorschlag-zum-richtungsstreit-in.html

  2. Pingback: Links, sozialliberal, vorn oder einfach daneben?gummada | gummada

  3. Die Bundestagswahl steht vor der Tc3bcr und ich habe absolut keienn Bock eine unserergroc3Ÿen Parteien zu wc3a4hlen. Ich komme zu der c3œberzeugung, das man eh nurdie Katze im Sack kauft. Deshalb werde ich mich wohl zu den kleineren Gruppierungengesellen und habe die Piratenpartei klar ins Auge gefasst.

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